Leben im Camp

Ein Besuch im Flüchtlingslager in Berlin

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Seit letztem Herbst campieren Flüchtlinge in Berlin um für bessere Lebensbedingungen zu demonstrieren

Mit freundlicher Übersetzungshilfe von Claire R.
Es sind ungefähr null Grad an diesem Tag in Kreuzberg. Im Sonnenschein spielen auf einer vereisten Fläche zwischen den Zelten ein paar Männer Fußball. PassantInnen laufen über den Platz an der kleinen Zeltstadt mit ihren Transparenten vorrüber. Wir sind im Flüchtlingscamp auf dem Oranienplatz in Berlin, das seit Oktober zum Kiezbild dazugehört, und mit einem der Flüchtlinge verabredet. Er möchte nicht erkannt werden und seinen Namen nicht nennen, denn er ist ein so genannter „Illegaler“. Ohne Ankündigung oder Information könnte er von den Polizeibehörden aus Deutschland abgeschoben werden.
Dennoch trifft er sich mit uns, um von dem Leben im Camp zu erzählen.

Improvisierte Ofenrohre und gespendete Zelte auf dem Oranienplatz

Improvisierte Ofenrohre und gespendete Zelte schützen die Flüchtlinge auf dem Oranienplatz

Auf ungefähr 300qm verteilt sich das Lager der Flüchtlinge. Große Zelte, wie sie von Notfalllagern oder anderen Protestcamps gewohnt sind, reihen sich aneinander. Aus einigen schauen Ofenrohre hervor, mit Holzbalken sind Transparente, auf denen Sprüche und Slogans stehen, gut sichtbar für Vorbeikommende aufgespannt.
Circa 100 Menschen, hauptsächlich aus Afrika und dem Nahen Osten, leben in dem Camp. Unser Interviewpartner, wir nennen ihn A., lebt seit acht Jahren in Deutschland und war von Anfang an bei den Flüchtlingsprotesten in Berlin dabei. Im Frühjahr 2012 hatten Flüchtlinge in Würzburg einen „Refugee March“ organisiert. Anlass war unter anderem der Suizid eines iranischen Flüchtlings, der den ständigen Druck und den verheerenden Lebensbedingungen in den staatlichen Flüchtlingslagern nicht mehr gewachsen war.

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Der Flüchtlingsmarsch erreichte Anfang Oktober 2012 Berlin

„Mich hat es sehr beeindruckt, wie 6000 Menschen für die Rechte der Flüchtlinge auf die Straße gegangen sind“, meint A. „Für mich war es ein Zeichen, dass sich etwas ändern kann.“
Seither lebt er in den Camp. Ein paar Monate davor hatte er die Mitteilung der drohenden Abschiebung erhalten und seither untergetaucht. Jeden Tag hätte er abgeschoben werden können.
„Am Anfang war die Motivation im Camp sehr groß und wir hatten alle sehr viel Energie. Von überall her kam Unterstützung und Spenden.“, sagt er.

Angst, seinen Landkreis, in dem er sich hätte aufhalten müssen, zu verlassen, hatte er nicht. “Den Brief mit der Ankündigung der Abschiebung hatte ich sowieso bereits erhalten. Wir leben fast alle mit ständigem Druck von staatlicher Seite aus.” Er fühle sich zwar auch im Camp nicht total sicher, aber die Isolation, die sonst in den staatlichen Flüchtlingslagern herrscht, sei endlich durchbrochen. “Ich kann mich mit anderen Flüchtlingen offen unterhalten, meinen Alltag selbst gestalten und daran mitarbeiten, dass sich die Bedingungen für Flüchtlinge verbessern. In den staatlichen Lagern konnte ich die meiste Zeit des Tages nichts tun.”

Blick in das Infozelt - erste Anlaufstelle im Camp

Blick in das Infozelt – erste Anlaufstelle im Camp

Das Camp dient als Vernetzungsstelle und Rückzugsort für Flüchtlinge. Hier können sie einigermaßen sicher leben und für bessere Lebensbedingungen streiten. “Die Polizei kontrolliert nicht im Camp. Ich denke, es hat etwas damit zu tun, dass der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg unser Camp offiziell duldet.” Genau wisse er den Grund dafür aber nicht.
Zwar würden im Camp selbst keine Kontrollen stattfinden, dafür aber in dessen Umfeld. “Auf dem Weg zu den Bahnhofen sind Flüchtlinge kontrolliert worden.”, meint A. . “Einmal ist jemand von der Polizei festgenommen worden, weil er keine Papiere besaß. Wir haben dann vor der Polizeistation demonstriert und Geld gesammelt. Wegen unseres Engagements und der Unterstützung von Außen konnte er dann wieder freigelassen werden.”

Gemeinsames Mittagessen im Camp

Gemeinsames Mittagessen im Camp

Die Menschen im Camp haben sich in verschiedenen Arbeitsgruppen organisiert. Es gibt eine Mediengruppe, eine Kochgruppe, Putzgruppe, usw. “Jeden Mittag und Abend gibt es gemeinsames Essen, das die Kochgruppe zubereitet. Hier kommen fast alle Menschen aus dem Camp zusammen und ab und an die Unterstützer.”, sagt A. . Gelegentlich kämen auch Menschen, die gar nichts mit dem Camp zu tun hätten, aber nicht versorgt werden. Jeden Mittwoch und Sonntag kommen die Flüchtlinge zu einem großen Plenum zusammen. Hier werden die Strategien, aktuelle Projekte und die Arbeiten in den Gruppen besprochen.

Ein großes Zelt dient den Flüchtlingen als Plenumsort

Ein großes Zelt dient den Flüchtlingen als Plenumsort

Auf das Verhältnis mit den NachbarInnen angesprochen sagt A.: “Es gibt ab und an Ärger. Einzelne Menschen rufen regelmäßig die Polizei wegen Ruhestörung. Ein Flüchtling, der selbst eine Aufenthaltsgenehmigung besitzt, kommt ab und an her, fängt einen Streit an und ruft dann selbst die Polizei.” Bei all der gemeinsamen Arbeit im Camp, scheint es doch ein paar Konflikte zu geben. Uns fällt beispielsweise auf, dass sich kaum Frauen unter den Menschen finden lassen. “Ich denke, da müsst ihr die Frauen selbst fragen, warum sie so wenig hier sind.”, sagt A. . “Vielleicht liegt es daran, dass sie das Gefühl bekommen, weniger wert zu sein und bei der Arbeit im Camp nicht so viel leisten zu können.”

Auf Listen im Infozelt können sich Unterstützende für Hilfsdienste eintragen

Auf Listen im Infozelt können sich Unterstützende für Hilfsdienste eintragen

Regelmäßig würden vorbeikommende PassantInnen die Flüchtlinge beleidigen und Diffamierungen brüllen. Dabei sei es aber laut A. noch nie zu Handgreiflichkeiten gekommen. Bei Demonstrationen der Flüchtlinge sei die Polizei allerdings teilweise sehr hart vorgegangen, wie bei der Besetzung der nigerianischen Botschaft Mitte Oktober. Neben dem individuellen Druck, den die Flüchtlinge empfinden, kämen die kollektiven Einschüchterungsversuche und im Winter natürlich das Wetter.
Die anfängliche Energie im Camp sei mittlerweile verflogen, sagt A. . “Es herrscht weniger Disiplin und das größte Problem ist das Geld. Anfangs konnten wir den Flüchtlingen noch U-Bahn-Tickets und sogar Krankenhausaufenthalte bezahlen. Das geht jetzt nicht mehr. Aber wir bekommen noch viel Unterstützung und sind über jede Hilfe total dankbar.”

Wir fragen ihn zum Abschluss, ob er glaubt, dass das Camp Erfolg haben wird und weiterbesteht. Seine knappe Antwort: “Es kommt ganz auf das Geld an.” Gerade versucht er über einen Anwalt einen legalen Aufenthaltsstatus zu erreichen und in Deutschland bleiben zu können. Das Camp scheint dabei Unterstützung zu sein.

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