Halbe Stunde auf dem Alex : Erlebnis für den ganzen Tag

Eine halbe Stunde Alexanderplatz bedeutet manchmal soviel Abwechslung, wie man in so mancher Kleinstadt in einem ganzen Jahr nicht erlebt. Eine halbe Stunde bin ich vor zwei Wochen über den Alex gelaufen und habe einen Haufen Bands und Musiker, Künstler, interessante und merkwürdige Leute, Religiöse und und politische Menschen getroffen oder besondere Situationen erlebt, die dem Alexanderplatz seinen ganz besonderen und manchmal irritierenden Charme geben. Mit noch mehr Zeit im Gepäck, hätten aus den kurzzeitigen Erlebnissen und Treffen richtige Geschichten werden können. Aber das vielleicht beim nächsten Mal.

Die Stars von DSDS

Mitten auf dem dem Alex schob sich ein Schwarm von jungen Mädchen entlang. In ihrer Mitte schien sich etwas zu bewegen und die Richtung der Menge vorzugeben, aber was oder wer kann das sein? Eines der Mädchen erzählte mir ganz aufgeregt, dass zwei Stars von DSDS (Deutschland sucht den Superstar) die unidentifizierbaren Subjekte in der Mitte der Mädchenhaufen gewesen sein sollen. Beim Anblick der zwei Jungs zwischen den vielen aufgeregten Mädels, bekam ich ein wenig Mitleid mit den beiden.
Nachdem sich einer der Stars in die Toilettenräume auf dem Alex flüchten konnte und der andere die beinah eskalierenden Zuneigungsattacken der jungen Fans überlebt hatte, organisierten sich die Mädels in einer Reihe, um sich nacheinander Fotos und Autogramme von dem verbliebenen Star zu sichern. Die umstehenden Passanten reagierten durchweg mit Grinsen oder Kopfschütteln. Einen Eindruck dieses sonderlich wirkenden Geschehens bekommt ihr in dem Video.

Der merkwürdige Beobachter

Merkwürdige Szenerie mit sehr merkwürdigem Beobachter

Merkwürdige Szenerie mit sehr merkwürdigem Beobachter

Als ich mich von dieser Szenerie entfernte, sprach mich ein etwas älterer Mann an, was denn der Grund für diesen Auflauf sei. “Zwei jugendliche Stars von einer Castingshow”, gab ich ihm zurück. Er reagierte mit einem Nicken und seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Er meinte, dass er diesen Auflauf ganz amüsant fände, aber eigentlich nichts weiter damit anfangen könne, da er ja auch gar nicht verstünde, warum die beiden Stars eigentlich solche Stars wären. Und dann sagte er etwas sehr verstörendes. Aus diesem Grund würde er hier so abseits stehen und die “Popös der jungen Mädels” bestaunen. Als ich noch einmal nachfragte, ob er tatsächlich das meinte, was ich verstanden hatte, versuchte er sich zu rechtfertigen, dass er ja gar nichts anderes in dieser Situation machen könnte, als sich “die Popös und die Körper der Mädchen anzugucken”. Ich entfernte mich schnell, behielt den Mann aber im Auge.

Das Kamerateam und freizügige Menschen

Unweit dieses Geschehens, aber völlig unabhägig davon, versuchte ein Kamerateam Interviews mit vorbeilaufenden Passanten für ihre abendliche Nachrichtenausgabe einzufangen.
Als sie merkten, dass ich ebenfalls sehr neugierig auf dem Alex rumspazierte, wollten sie mich plötzlich nicht mehr fragen, was ich vom Wetter oder von ähnlich belanglosen Geschichten hielt und ob ich etwas zu dieser oder jenen Langweiligkeit in ihre Kamera sprechen wollte. Tatsächlich fand ich den Typen, der völlig ungeniert mitten auf einem der meist frequentiertesten Plätze Europas seinen Penis rausholte, um sich an einem Baum zu erleichtern, fast noch interessanter, als die Recherchearbeit der RTL-Abendnachrichten.

Berlins belebtester Platz als Toilette

Berlins belebtester Platz als “stilles” Örtchen

Kamerateam auf Interviewjagd

Kamerateam auf Interviewjagd

StreetArt und StreetFight

StreetArt auf dem Alex mit Kreide und Holzkohle

StreetArt auf dem Alex mit Kreide und Holzkohle

Den optisch schönsten Eindruck machte ein junger Künstler mit seinem Straßengemälde auf dem Alex. Mit Kreide und Holkohle schuf er ein 4×3 Meter – Bild, das viele Menschen anzog. Leider war er für ein Gespräch nicht mehr zu haben, nachdem er sich einer handfesten Konfrontation mit einem Standbesitzer auf dem Platz hingeben musste. Dieser regte sich darüber auf, dass der Künstler keine Genehmigung für seine StreetArt hätte und sich zu nah an seinen Stand positioniert hätte.
Die bürokratische Gründlichkeit macht auch vor den “fliegenden Händlern” und Straßenkünstlern nicht Halt. Das Argument, es sei genügend Platz für sie beide auf dem Alex, zählte für den Händler leider nicht.

Typisch deutsch: Stress wegen fehlender Dokumente

Typisch deutsch: Stress wegen fehlender Dokumente

Buddha und der Kommunismus

Querdenker sind ebenfalls regelmäßig auf dem Alexanderplatz anzutreffen. In diesem Fall ein selbst ernannter Buddhist, der offenbar gleichzeitig als Kommunist tätig ist und mich direkt neben dem Straßengemälde erwartete. Er erzählte mir, wie er in seinen vorigen Leben verwirrt über die Erde wandelte, bevor er in seinem jetzigen mit einem Mix aus Spiritualität und Kommunismus zu sich selbst finden konnte. Wesentlicher Bestandteil seiner metasphärischen Erfahrung scheint seine Literatur zu sein, die er mir für spirituelle 13Euro pro Buch verkaufen wollte. Er verabschiedete sich von mir mit einer leichten Abfälligkeit über mein eigenes weniger spirituell erfülltes Leben, wofür er sich sofort versuchte zu entschuldigen. Ich entfernte mich mit einem mega philosophischen “schon gut”.

Versucht seine Lehren zu verbreiten: Buddhistischer Kommunist

Versucht seine Lehren zu verbreiten: Buddhistischer Kommunist

Die Rapgruppe Qult und ihr Kampf für Demokratie

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Qult auf dem Alex – Rap für mehr Gerechtigkeit

Am nordöstlichen Rand vom Alex hatten sich zwei Rapper von der Gruppe Qult mit Anlage und Mikrofon positioniert. Der eine rappte, während der andere Flyer verteilte und versuchte, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Die Rapper von Qult hatten wir im letzten Jahr intensiv interviewt und ein Konzert von den Jungs besucht (siehe hier) und nun zufällig auf dem Alexanderplatz wiedergetroffen.
Mitlerweile touren die drei mit eigenen Projekten solo durchs Land. Sie sind aber immer noch freundschaftlich verbunden und arbeiten teilweise für einzelne Projekte oder Songs zusammen. Oder bei öffentlichen Auftritten, um die Menschen zu bewegen, kritischer über den Staat, das Geld und die Gesellschaft zu denken und sich zu engagieren.

Noch mehr Musik….

Unter der Bahnbrücke am Alex hatte sich ein doch recht begnadeter Musiker postiert. Das besondere an seiner Performance war, dass er die umstehenden Passanten aufforderte, mit ihm zusammen am Mikrofon zu singen. Ein echter Hingucker und vorallendingen Hinhörer.
Dann hatten sich noch zwei Menschen bereitgestellt, die südamerikanische Folklore-Musik präsentiert und eine Person, die zwar mit Trompete ausgestattet war, diese aber nicht benutzte. Vielleicht hatte es auch etwas mit dem Polizeieinsatz zu tun, der kurz vor meiner Ankunft dort noch abgelaufen war, zu dem ich aber auch keine weiteren Infos bekam. Besonders Mühe hatte sich nur unweit davon entfernt ein Herr mit seinem Dudelsack gegeben. Damit aber nicht genug, denn außerdem hatten sich noch zwei Menschen auf dem Alex eingefunden, die mit ihrer Jazzmusik ebenfalls auf dem Platz glänzen wollten. Erheiternd, aber zu leise, ging ihre Musik unter den vielen anderen Geräuschen leider ziemlich unter.

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….und Religion

Neben dem buddhistischen Kommunisten hatte sich eine Frau eingefunden, die von ihrem christlichen Erweckungserlebnis vor laufender Kamera sprach. Sie störte es gar nicht, dass ich versuchte, ihre Missionierungsarbeit auf Video festzuhalten. Im Gegenteil – meine Kamera entfachte bei ihr offensichtlich noch mehr Leidenschaft beim Erzählen. Leider war sie ebenfalls viel zu leise, als dass sie jemand wirklich hätte verstehen können.
Dafür hatten sich aber noch direkt vor dem Bahnhof drei Menschen von den Zeugen Jehovas positioniert. Bei denen erzeugte meine Kamera allerdings leider kein Anwachsen von Leidenschaft, höchstens Irritation.

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Zum Schluß….

Was auf dem Alex auch niemals fehlt, sind die jungen Menschen, die fleißig und sehr eigennützig für gemeinnützige Organisationen auf Spendenjagd gehen. An diesem Freitag waren das Menschen vom Arbeiter-/Samariterbund, von Aktion Tier und dem WWF.
Und um dann das Bild vom völlig überfüllten Alexanderplatz noch zu komplettieren, hatten sich natürlich noch die ebenfalls niemals fehlenden Würstchenverkäufer und ein Blutspendemobil vom Deutschen Roten Kreuz eingefunden und außerdem noch ein weiterer Straßenkünstler. Ein etwas trauriger aber umso wichtiger Hinweis ließ sich dann an einer Laterne finden. Die Initative “I am Jonny” rief mit einem Sticker für ein friedlicheres Miteinander auf und erinnerte an den im letzten Jahr am Alexanderplatz getöteten Jonny K. (Infos und Unterstützung unter www.iamjonny.de).
Einen wunderbaren Abschluss fand das halbstündige Schlendern über den Alex mit einem Besuch in dem wohl einzigen Bioladen Berlins, der täglich geöffnet hat.

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